Blogbeitrag

Produkt Vision

Im Folgenden wollen wir uns etwas intensiver mit der Produkt Vision beschäftigen. Was ist das, wofür wird sie benötigt und worin besteht der Unterschied zum Produkt Ziel? Danach werden wir uns einige Methoden anschauen, wie wir eine Produkt Vision erarbeiten können.

Verschiedenste Gegebenheiten können eine Produkt Vision erforderlich machen. Das kann ein komplett neues Produkt sein, welches durch einen Kunden herangetragen wird. Oder aber der Kunde möchte sein bestehendes Projekt aufgrund neuer Anforderungen erweitern oder verbessern, oder muss auf Grund gesetzlicher Neuerungen Änderungen am Produkt vornehmen.

Die Produkt Vision soll dabei zu Beginn eine grobe Vorstellung des Ergebnisses beschreiben. Sie soll die Bedürfnisse und Probleme der Kunden thematisieren und als Leitbild dienen.

Vorteile für die anfängliche Erarbeitung einer Produkt Vision gibt es einige.

  1. Zum einen schafft sie einen Fokus für die Priorisierung des Product Backlogs. Wenn sich der Product Owner immer wieder auf die Produkt Vision konzentriert, kann die Priorisierung der Items dadurch vereinfacht werden.
  2. Generell erleichtert eine gemeinsame Vision das Arbeiten des gesamten Teams und lässt es fokussierter und damit effizienter arbeiten.
  3. Das Projekt wird am Ende erfolgreicher verlaufen – denn das Ziel wird sich stets vor Augen gehalten und damit ein Abkommen vom Projektweg erschwert.

Prinzipiell soll die Produkt Vision in einem Satz – ohne auf Details einzugehen – geschrieben werden können. Dieser Satz kann wie folgt aussehen:

Für <den Zielkunden>
mit <dem Bedarf oder der Gelegenheit>
soll das <Produkt(-name)>
aus der Kategorie <Produkt Kategorie>
erstellt werden, welches <den Hauptnutzen bzw. den Kaufgrund>
hat und im Gegensatz zu <der Wettbewerbsalternative>
<folgenden Mehrwert bzw. Vorteil> hat.

Mit diesem Satz wird gleich zu Beginn eine gute Basis zur Diskussion geliefert, ob ein Produkt umgesetzt werden soll.

Wenn eine Produkt Vision erarbeitet wurde, können die nächsten Ziele definiert werden. Die Produkt Vision ist die Grundlage für andere große Themen wie die Produkt Strategie oder die Product Road Map. Darauf werden wir später noch eingehen. Wir wollen erst einmal noch klären, was der Unterschied zwischen einer Produkt Vision und dem Produkt Ziel ist. Seit den Änderungen im Scrum Guide vom November 2020 scheint es da ein wenig Verwirrung zu geben. Denn darin gibt es den Begriff des Product Goals, also des Produktziels, wohingegen von der Produkt Vision keine Rede ist.

Die Gemeinsamkeit besteht wohl darin, dass beide ein Leitbild verfolgen und damit eine Richtung oder Orientierung vorgeben.

Allerdings gibt es einen Unterschied. Während die Product Vision als “unerreichbar” gilt, kann das Produkt Ziel erreicht werden. Zumindest ist gegeben, dass es irgendwann einmal erreicht werden kann.

Beim Produkt Ziel geht es um die Art und die Qualität des Produktes, um Mengen und Kapazitäten oder auch Variationen.

Die Produkt Vision beschreibt eher, warum das Produkt umgesetzt werden soll und geht auf die Marktgegebenheiten, auf Kennzahlen und auch im gewissen Maße auf die Unternehmensziele ein.

Ob man nun für das eigene Produkt eine Product Vision oder ein Product Goal oder auch beides erstellt, bleibt letztendlich dem Team überlassen. Wichtig ist, dass es ein generelles Leitbild gibt, an welchem sich orientiert werden kann. Man sollte allerdings den Unterschied der beiden Begriffe kennen.

Wie kann man nun eine Produkt Vision erarbeiten?

Wer Probleme bei der Erstellung der Produkt Vision hat, kann sich bestimmte Methoden zur Hilfe nehmen. Im Folgenden werde ich dazu das Product Vision Board und die Vorgehensweise mittels eines Workshops vorstellen.

Das Product Vision Board

Dieses hat Roman Pichler, ein Experte für Scrum und agiles Produktmanagement, für die strukturierte Erstellung einer Produkt Vision ausgearbeitet. Das Board wird auf einem großen Poster oder Flipchart erstellt und hat folgende Unterteilung:

Es besteht aus dem Vision Statement und vier Bereichen für das Produktkonzept: die Zielgruppe, die Bedürfnissen, das Produkt und die Business-Zielen.

Das Vision Statement enthält eine kurze Zusammenfassung der Idee, die hinter dem Produkt steckt.

In die Spalte der Zielgruppe werden die Nutzer geschrieben, welche das Produkt verwenden sollen, bzw. der Markt, der angesprochen werden soll damit. Es kann sein, dass man zu Beginn noch nicht die genaue Zielgruppe kennt. Um ein besseres Verständnis für unsere Nutzer zu entwickeln, kann hier der Einsatz von Personas eine gute Möglichkeit sein. Die Personas lassen sich später auch gut mit der Methode des Design Thinkings verbinden.

Kurzer Abstecher: Was sind Personas?

Eine Persona stellt eine Art Prototyp für eine Nutzergruppe dar, mit konkreten Eigenschaften und einem eindeutigen Nutzungsverhalten. Durch sie bekommt der für uns anonyme Kunde ein wenig „Charakter“ und Persönlichkeit. Mit einer Vorlage, eine Art Steckbrief, werden alle möglichen Daten und Eigenschaften zu der Person gesammelt und aufgeschrieben. Eine Zielgruppe besteht hierbei nicht nur aus einer Persona. Sie kann mehrere enthalten.

Anhand der Personas lässt sich klären, ob diese das Feature wirklich benötigt oder nicht – und letztendlich ob wir diese Person oder den Personenkreis dann in unsere Spalte des Product Vision Boards eintragen oder nicht.

Auch für eine spätere Priorisierung sind Personas gut geeignet. Man kann sie nach Wichtigkeit sortieren, nachdem man die Anforderungen und Wünsche zugeordnet hat.

Dem Scrum Team kann man mit Personas gut erklären, für wen das zukünftige Produkt gut geeignet ist, wie dessen Nutzung aussehen wird und warum es für diese Person wichtig ist.

Aber kommen wir zurück zu unserem Product Vision Board.

Bei den Bedürfnissen wird eingetragen, welche Probleme durch das Produkt gelöst werden und welchen Nutzen es der Zielgruppe bringt. Mit den erstellten Personas kann man dies sicher leicht ableiten.

In die Spalte Produkt kommen bis zu fünf Funktionen oder Merkmale des Produktes hinein. Gut wären hier die Eigenschaften, die dafür verantwortlich sind, dass sich das Produkt von der Konkurrenz unterscheidet bzw. abhebt.

Die Business-Ziele beschreiben den Nutzen für das Unternehmen. Wie soll der wirtschaftlichen Erfolg erreicht werden? Erträge erhöht oder Kosten reduziert werden?

Eine Überprüfung der Inhalte aus dem Product Vision Board ist im Anschluss sinnvoll. Dazu werden zum Beispiel Tests mit potentiellen Kunden durchgeführt oder Personen aus den Zielgruppen befragt.

Das ganze durchleben wir nun einmal an einem kleinen Beispiel:

Zuerst werden wir die Vision, ganz allgemein gehalten, vermerken. In unserem Beispiel soll dies das Thema “Wissen vermitteln und Wissensaustausch” sein.

Als nächstes tragen wir die ermittelten Zielgruppen ein. In unserem Fall stellen wir uns vor, dass wir die Personas dafür schon erstellt haben. Somit haben wir junge Erwachsene in der Ausbildung, Studenten und Erwachsene mit dem Wunsch nach Weiterbildung als Zielgruppe ermittelt.

Danach setzen wir uns mit den Bedürfnissen unserer Nutzer auseinander. Bei mehr als einem Bedürfnis werden wir eine Priorisierung durchführen. In unserem Beispiel lautet das Bedürfnis “Wissen aneignen zu verschiedensten Themen” und “einfachen und schnellen Wissensaustausch mit Experten auf dem Gebiet meines Interesses” – da für unsere Zielgruppe die Vermittlung des Wissens erst einmal wichtiger ist, damit sich danach auch ausgetauscht werden kann, hat dieses Bedürfnis die höchste Priorität.

In der Spalte zum Produkt habe ich ein paar Eigenschaften eingetragen, die es hervorheben sollen. Dabei sollen noch keine konkreten oder detaillierten Lösungen formuliert werden:

Der Punkt “Möglichkeit eigenes Wissen anzubieten” verrät also noch nicht, ob dies in Form von Tutorials oder als Coaching angeboten werden soll. Das ist zu diesem Zeitpunkt auch noch zu früh und ohnehin noch nicht bekannt.

Als Geschäftsziel habe ich Erträge erzielen und eine Marke aufbauen eingetragen.

Für die Überprüfung meines erstellten Product Vision Boards würde ich nun verschiedene Interviews mit verschiedenen Personen aus meiner Zielgruppe durchführen und die Ergebnisse dann gegen meine erfassten Stichpunkte prüfen.

Dabei ist es wichtig vorrangig die Bedürfnisse und Probleme der Nutzer zu hinterfragen und nicht auf das Produkt selbst einzugehen.

Die möglichen neuen Erkenntnisse werden dann im Board ergänzt bzw. die nicht mehr passenden Punkte umgeschrieben.

Der Produktvisions Workshop

Mit einem Workshop zusammen mit ausgewählten relevanten Stakeholdern sowie Mitgliedern des Scrum Teams lässt sich ebenfalls eine Produkt Vision erarbeiten. Innerhalb des Workshops erzielt man durch Teamwork oft bessere Ergebnisse. Diesen kann man sowohl strukturiert durchführen als auch als Brainstorming-Event abhalten. Entweder stimmt man die Vorgehensweise vorher mit den Teilnehmern ab oder erstellt einfach eine Agenda als Vorschlag.

Effizient ist auch die Aufteilung in Gruppen und das Vergleichen der Ergebnisse nach der Gruppenarbeit. Dadurch können die unterschiedlichsten Ansichten und Ideen einfließen.

Eine Tafel oder ein Flipchart ist für diese Art der Product Versions Findung unerlässlich. An ihr werden alle Brainstorming- und Zwischenergebnisse festgehalten.

Wie geht man so einen Workshop am besten an? Unvorbereitet sollte man dies natürlich nicht tun. Eine gute Vorbereitung ist der Grundstein für einen erfolgreichen Workshop. Dazu ist es wichtig vorher alle Informationen zu sammeln, die für den Inhalt wichtig sind. Das sind Personas, Marktanalysen und Auswertungen, Kundenanforderungen und so weiter.

Wichtig ist, dass alle Teilnehmer mit dem gleichen Wissensstand in den Workshop kommen. Deshalb sollten all diese Informationen vorher zur Verfügung gestellt werden.

Während des Workshops kann man dann darüber diskutieren, gegebenenfalls Personas anpassen und somit tief in das Thema eintauchen.

Wenn alles geklärt wurde, kann es an die Formulierung der Produkt Vision gehen. Ziel ist es, die Produkt Vision in einem Satz zu formulieren, welchen wir zu Beginn veranschaulicht hatten. Falls Aussagen zu allgemein gehalten sind, sollten diese noch konkretisiert werden.

Wenn die Produkt Vision steht, kann zum nächsten Schritt übergegangen und eine Produktstrategie entwickelt werden.