Das Kano-Modell stellt den Zusammenhang zwischen bestimmten Produkteigenschaften und der zu erwartenden Kundenzufriedenheit dar. Die Ergebnisse aus einer Kano-Analyse helfen bei der Selektierung und Priorisierung der Anforderungen und somit bei der Release-Planung.
Das Modell hat Noriaki Kano, ein Professor aus Tokio, Ende der 1970er Jahre entwickelt.
Durch die Analyse mittels Kano werden Kundenanforderungen kategorisiert. Dies geschieht mit Hilfe eines speziellen Fragebogens. Voraussetzung für eine Kano-Analyse im Scrum Prozess ist die Produktdefinition mit all ihren Kundenwünschen und Anforderungen. Daraus wird dann der Fragebogen erstellt. Eine weitere Voraussetzung ist, dass genügend Kunden der Zielgruppe des Produktes für die Befragung vorhanden sind. Zum Schluss werden die Bögen ausgewertet und interpretiert.
Schauen wir uns erst einmal die Eigenschaften an, die den Anforderungen zugeordnet werden sollen:
Da hätten wir als erstes die Basiseigenschaften. Diese Basisanforderungen sind die Must-Haves bei einem Produkt, also die Pflichtanforderungen. Sind sie nicht vorhanden, kommt sofort extreme Unzufriedenheit beim Kunden auf. Auf der anderen Seite stellen sie allerdings keine oder kaum Zufriedenheit her, wenn sie vorhanden sind. Sie werden einfach vorausgesetzt und als selbstverständlich angesehen.
Nehmen wir uns einen Kinobesuch als Bespiel. Läuft der Film ohne Ton, sind die Zuschauer unzufrieden und verärgert. Mit Ton werden sie allerdings nicht aufgrund des Tons zufriedener. Er wird bei einem Kinobesuch bzw. beim Schauen eines Films einfach vorausgesetzt und ist somit eine Basiseigenschaft. Genauso werden Sitzmöglichkeiten im Kino erwartet. Kein Besucher würde es hinnehmen, wenn er in den Kinosaal kommen würde und keine Sitzgelegenheiten zu finden wären.
Dann gibt es die Leistungseigenschaften. Diese sind hauptverantwortlich für eine gesteigerte Zufriedenheit der Kunden. Sie werden vom Kunden ausdrücklich gefordert. Wenn sie nicht geliefert werden, ist der Kunde unzufrieden. Je besser oder qualitativ hochwertiger sie sind, desto zufriedener ist auch der Kunde.
Nehmen wir an, unser Kino bietet gepolsterte Sitze anstelle von zum Bespiel Holzstühlen an. Je bequemer der Sitz ist, desto glücklicher wird auch der Kunde sein.
Dann hätten wir da noch die Begeisterungseigenschaften. Das sind Merkmale, die vom Kunden nicht genannt werden. Sie werden bei nicht Vorhandensein auch nicht vermisst und haben dadurch auch keine Auswirkung auf die Zufriedenheit. Wenn sie allerdings existieren, werden sie den Kunden begeistern und dadurch sehr zufrieden machen. Durch einen gewissen Wow-Effekt haben sie auf die Kundenzufriedenheit einen sehr großen Einfluss. Diese steigt überproportional mit der Umsetzung.
In unserem Kino könnten wir zum Beispiel die Sitze mit verstellbaren Rückenlehnen und einem Nackenkissen anbieten. Oder auch nur eine kleine Aufmerksamkeit wie ein kleines Päckchen Gummibärchen auf die Sitze legen. Ohne werden die Nutzer den Film genauso gut genießen und sich freuen. Aber mit diesen Begeisterungsfaktoren werden sie sicher noch lieber wieder in dieses Kino kommen.
So wie es Eigenschaften gibt, die die Kunden mit offenen Armen empfangen werden, so gibt es auch welche, die Kunden ablehnen – damit kommen wir zu den Ablehnungseigenschaften. Bei ihnen verhält es sich folgendermaßen: Kunden erwarten, dass diese Funktion oder Gegebenheit nicht vorhanden ist. Sobald sie vorhanden ist, steigt die Unzufriedenheit. Der Kunde lehnt diese Eigenschaft also konkret ab.
In unserem Kinobeispiel könnte das die Beleuchtung sein. Wenn der komplette Kinosaal voll ausgeleuchtet ist, werden die Zuschauer unzufrieden sein – denn den Film möchte man schließlich in einer Kinoatmosphäre genießen – und dafür ist das Licht ausgeschalten.
Indifferente Eigenschaften haben keinen Einfluss auf die Kundenzufriedenheit. Also egal ob sie vorhanden sind oder nicht, die Kunden werden nicht glücklicher oder unglücklicher. Sie wären also auch nicht bereit aufgrund so einer Eigenschaft mehr zu bezahlen.
Wenn wir für unser Kino ein Beispiel nehmen würden, wäre das zum Beispiel der öffnende und schließende Vorhang an der Leinwand. Ob er vorhanden ist oder nicht, tut nicht zur Sache. Extra bezahlen würde niemand dafür.
Nun geht es daran die Features bzw. die User Stories in diese Eigenschaftskategorien einzuordnen. Dazu hilft uns der Fragebogen, den Kano entwickelt hat.
Zu jeder Anforderung wird eine funktionale und eine dysfunktionale Frage gestellt. Die Funktionale Frage lautet: Wie wäre es für dich, wenn die Funktion vorhanden wäre? Die Dysfunktionale Frage hingegen: Wie wäre es für dich, wenn die Funktion nicht vorhanden wäre? Folgende fünf Antworten stehen dem Befragten hierbei zur Auswahl:
Der Fragebogen dazu könnte so aussehen:
In der ersten Spalte steht die Anforderung um die es geht. Zu dieser Anforderung soll der Nutzer nun ein Kreuz bei der funktionalen und eines bei der dysfunktionalen Frage setzen. In der letzten Spalte haben wir Platz für die spätere Auflösung.
Die Auflösungstabelle dazu schaut folgendermaßen aus:
Die Antworten der funktionalen Fragen stehen in den Zeilen und die der dysfunktionalen Fragen in den Spalten. In den Feldern innerhalb werden die resultierenden Eigenschaftskategorien angezeigt. Dabei steht die Übersetzung der jeweiligen Farbe für die Eigenschaft hier rechts im Bild. Die Matrix verrät, ob die Anforderung zur Begeisterung führt, als Leistungseigenschaft erkannt wurde, ein Basismerkmal darstellt, zur Ablehnung führt oder ob mit der gelben Farbe ihre Existenz vollkommen egal wäre.
Felder mit dem Fragezeichen bedeuten, dass die gegebenen Antworten widersprüchlich sind und so eigentlich nicht getroffen werden können. Das könnte an einer missverständlichen Formulierung der Fragen bzw. Anforderungen liegen, aber auch einfach nur auf eine falsch gesetzte Antwort des Befragten zurückzuführen sein. Normalerweise fallen keine Treffer auf diese Felder.
Wenn wir nun die beiden Antworten zu den Fragen unserer Anforderungen hernehmen, dann steht die Auflösung zu dieser Anforderung in dem Feld, in dem sich die Antworten treffen.
Unser Getränkehalter würde sich mit der funktionalen Antwort “würde mich freuen” und der dysfunktionalen Antwort “könnte ich hinnehmen” in einem grünen Feld wiederfinden. Somit würde die Anforderung als Begeisterung eingestuft werden.
Im Gegensatz wäre unsere Beleuchtung während des Films mit der funktionalen Antwort “würde mich stören” und der dysfunktionalen Antwort “setze ich voraus” laut der Auflösung ein Ablehnungskriterium, würde also bei Vorhandensein in jedem Fall zu Unzufriedenheit beim Kunden führen.
Nachdem alle Fragebögen aller Befragten ausgefüllt vorliegen, geht es an die Auswertung. Dazu wird eine neue Tabelle angelegt, in der alle Anforderungen stehen und dazu die Spalten mit allen Eigenschaftskategorien. Die sich jeweils ergebenen Kategorien je Nutzer und Anforderung werden nun summiert und in die Tabelle eingetragen.
Die hier angezeigten Ergebnisse sind im Übrigen frei erfunden und beruhen auf keiner reell durchgeführten Befragung.
Bei unserem Getränkehalter waren es zum Beispiel 9 Personen, bei denen als Eigenschaft Begeisterung herausgekommen ist. Für 5 Personen war es ein Leistungsmerkmal. Eine Person empfand einen Getränkehalter als eine Basiseigenschaft im Kino. Und zwei Personen war es gleich ob es einen Getränkehalter gibt oder nicht.
Beim Thema Beleuchtung sah das Ganze sehr eindeutig aus. 16 von 17 Personen lehnten dies ab. Nach der Auswertung aller Fragen kann man gut erkennen, in welche Eigenschaftskategorie die jeweilige Anforderung eingestuft werden kann.
Der Getränkehalter wird so zum Begeisterungsmerkmal, denn die Mehrheit der Befragten befindet sich in dieser Kategorie. Die Beleuchtung wird abgelehnt. Die beheizten Sitze wären in Summe gewertet den meisten Befragten egal. Dass Sitzplätze im Kino gepolstert sind, ist in unserem Bespiel für die meisten ein Leistungsmerkmal. Für 2 Personen hingegen schon eine Basisanforderung, wie bei dem Fragebogen unseres Bespielkunden auch.
Falls am Ende mehrere Anforderungen in der gleichen Kategorie zu finden sind, kann man die absoluten Zahlen der Befragten noch als weitere Priorisierungshilfe nutzen. Wenn es also ein Begeisterungs-Feature mit 11 und eins mit 9 Stimmen in der Spalte Begeisterung gibt, dann hat das Feature mit 11 Stimmen natürlich die höhere Priorität.
Die Auswertung der Kano-Analyse zeigt, welche Anforderungen den Kunden am wichtigsten sind, welche irrelevant wären und welche sogar abgelehnt werden. Für die Priorisierung der Features gilt generell, dass die Basis Funktionen am höchsten priorisiert werden sollten. Unser MVP, unser minimal viable Product, sollte somit in jedem Fall die Basisanforderungen beinhalten.
Um die Kundenzufriedenheit kontinuierlich zu steigern, ist es ratsam für jedes Release einige Leistungs- und auch mindestens ein Begeisterungsfeature umzusetzen.
Die Anforderungen aus der Kategorie Indifferent würden hinten anstehen. Abgelehnte Features setzt man in der Regel gar nicht um.
Die Kano-Analyse kann man fortlaufend und immer wieder aufs Neue betreiben – je nachdem wie viele neue Anforderungen im Laufe der Projektlaufzeit hinzu kommen. Nach der Auswertung muss darauf geachtet werden, dass auch Produktstrategie, Product Roadmap und Product Backlog angepasst werden müssen, falls sich die Priorisierung der Funktionen des Produktes geändert hat.
Zusammenfassend kann man sagen, dass eine Kategorisierung mittels Kano-Modell einen guten Aufschluss darüber gibt, wie die Nutzer die Anforderungen einschätzen und uns somit eine Priorisierung erleichtern.
Generell sollten alle Basis- und auch Leistungs-Anforderungen für das Produkt umgesetzt werden. Begeisterungs-Eigenschaften sollten allerdings ebenfalls nicht vergessen werden – sie geben dem Produkt die richtige Würze und können veranlassen, dass sich das Produkt beim Kunden gegen die Konkurrenz durchsetzt.